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Betriebsräte bei Nora Systems in Weinheim klagen wegen angeblich »ehrverletzender Kritik«. Zuvor hatten sie der Kündigung eines unbequemen Kollegen zugestimmt

Daniel Behruzi

Das kommt nicht alle Tage vor: In Weinheim steht Wolfgang Alles, Betriebsrat bei Alstom in Mannheim, vor Gericht. Als Kläger treten fünf Betriebsräte des Weinheimer Bodenbelagherstellers Nora Systems auf. Diese fühlen sich »in ihrer Ehre und ihren Persönlichkeitsrechten verletzt«, weil ihr Verhalten bei einem Solidaritätsfest für den gekündigten Nora-Systems-Betriebsrat Helmut Schmitt im September vergangenen Jahres kritisiert worden war. Sie hatten ein Ausschlußverfahren aus dem Betriebsrat gegen Schmitt eingeleitet und der darauf postwendend folgenden Kündigung zugestimmt. Damals wie heute sehen Gewerkschafter das als Versuch, einen kritischen Aktivisten mit großer Unterstützung in der Belegschaft loszuwerden, um den Verkauf der Firma ungestört abwickeln zu können.

»Das war kein Werfen mit Wattebällchen«, bilanzierte Alles die Auseinandersetzung um Schmitts Kündigung seinerzeit im jW-Interview (siehe jW vom 22. Dezember 2012). Kurz zuvor hatten sich beide Seiten vor Gericht auf einen Vergleich geeinigt, der Schmitt als Beschäftigten und Betriebsratsmitglied rehabilitierte. Alles bewertete das als »einen großen Erfolg der Solidarität«. Der Alstom-Betriebsrat hatte sich im Auftrag seines Gremiums im Solidaritätskomitee für Schmitt engagiert. Dazu gehörte auch die Moderation eines Solidaritätsfestes am 28. September 2012 in Weinheim, bei dem rund 250 Gewerkschafter zusammenkamen. In seiner Begrüßung soll Alles von »kriminellen Machenschaften bei Nora« und »gekauften Mehrheiten« im dortigen Betriebsrat gesprochen haben. Die gemeinten Belegschaftsvertreter – die selbst offenbar nicht vor Ort waren – haben darauf mit einer Klage vor dem örtlichen Amtsgericht reagiert.

Zum Prozeßauftakt am vergangenen Dienstag kamen mehr als 100 Kollegen, um ihre Unterstützung für Alles auszudrücken. Aus Platzgründen konnten viele von ihnen der Verhandlung nicht beiwohnen. Auch die IG Metall stellt sich hinter Alles. »Die IG Metall Mannheim verwahrt sich gegen sämtliche Angriffe auf Kollegen von uns, die mit der Beschränkung der Arbeit von Betriebsräten zu tun haben«, erklärte der Zweite Bevollmächtigte der Gewerkschaft, Klaus Stein, auf jW-Nachfrage. Alles habe mit seinen Meinungsäußerungen lediglich die notwendige Solidarität mit Schmitt zum Ausdruck gebracht. »Wir müssen gemeinsam Menschen schützen, die ihren Amtspflichten zur Vertretung von Beschäftigteninteressen nachkommen«, betonte Stein.

Hintergrund sind die Auseinandersetzungen bei Nora, die in Gewerkschaftskreisen seit langem für Empörung sorgen. 2007 wurde das Unternehmen aus dem Freudenberg-Konzern ausgegliedert. Mit Torblockaden und anderen Protesten verhinderte die Belegschaft den Verkauf an die direkte Konkurrenz und erreichte eine mehrjährige Absicherung ihrer Rechte und Bedingungen. Diese Ereignisse – und Schmitts Rolle beim Kampf der Nora-Belegschaft – hat die Geschäftsleitung offenbar nicht vergessen. Als sie 2012 den Weiterverkauf des Werks mit rund 900 Beschäftigten anstrebte, wollte sie den unbequemen Beschäftigtenvertreter offensichtlich kaltstellen. Davon sind zumindest die Aktivisten des Solidaritätskomitees und die IG Metall Mannheim überzeugt. In einem Bericht auf der Homepage der Gewerkschaft heißt es: »Geschäftsleitung und Betriebsrat von Nora Systems GmbH versuchten, den aktiven Betriebsrat Helmut Schmitt auszuschalten und seine Existenz zu zerstören. Durch diese konzertierte Aktion sollte der geplante Verkauf von Nora geräuschlos über die Bühne gehen.«

In der Tat wurden im Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht einige Vorfälle öffentlich bekannt, die auf eine intensive Zusammenarbeit von Betriebsrat und Geschäftsleitung bei Nora zur Unterdrückung kritischer Stimmen im Betriebsrat hindeuten. So wurden Absprachen beider Seiten in Zusammenhang mit der Neukonstituierung des Gremiums im Jahr 2010 offenkundig, die Schmitts Wahl zum Betriebsratsvorsitzenden verhinderten, obwohl dieser bei der Wahl die weitaus meisten Stimmen erhalten hatte. Später legte die Betriebsratsmehrheit – nach schriftlicher Aufforderung durch das Management – Schmitt bei seiner Arbeit als Interessenvertreter Steine in den Weg, indem sie ihn aus wichtigen Ausschüssen hinaus wählte. 2012 kam es zudem zu verbalen Ausfällen und sogar zu einem tätlichen Angriff eines Betriebsratsmitglieds auf einen Aktivisten der Minderheit.

Aufgrund des unternehmerfreundlichen Verhaltens der Betriebsratsmehrheit, insbesondere der gemeinsam getragenen Entlassung von Schmitt und wegen der beim Kündigungsschutzprozeß offenkundig gewordenen Vorfälle, machte in der Belegschaft der Vorwurf die Runde, der Betriebsrat sei »korrumpiert« und in »kriminelle Machenschaften« verstrickt. Beim Solidaritätsfest habe Alles diese Meinungsäußerungen lediglich zitiert, heißt es beim Solidaritätskomitee. Alles selbst sieht die Klagen als »untauglichen Versuch, meine Person stellvertretend für die Solidaritätsbewegung mit Helmut Schmitt an den Pranger zu stellen«. Offenbar versuche die Betriebsratsmehrheit, die in den vergangenen Jahren im Unternehmen angewandten Methoden nun auch außerhalb hoffähig zu machen, so Alles gegenüber junge Welt. »Das wird nicht funktionieren. Die Gewerkschaftsbewegung in der Region Mannheim wird auch diesen Einschüchterungsversuch zurückweisen und sich weiter für die Rechte engagierter Kolleginnen und Kollegen einsetzen.«

Das Urteil soll am 14. November 2013 verkündet werden.

Den Artikel finden Sie unter: http://www.jungewelt.de/2013/10-29/001.php