Beschäftigte kämpfen um Interessenvertretung im Betrieb
Betriebsräte als Interessenvertretung der Beschäftigten? Dies geht Aldi Süd offenbar zu weit. Wenn es schon einen Betriebsrat geben muss, dann kümmert sich die Geschäftsleitung augenscheinlich lieber selbst darum, dass alles „richtig“ läuft.
Die Unternehmensgruppe Aldi Süd ist laut eigenen Angaben gegliedert in dreißig Regionalgesellschaften, die jeweils von einem alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer geleitet werden. Einer Regionalgesellschaft sind fünfzig bis siebzig Filialen zugeordnet. Die Regionalgesellschaften sind wiederum aufgeteilt in Verkaufsbezirke (Regionen) mit jeweils vier bis fünf Filialen und insgesamt ca. fünfzig Beschäftigten.
Aldi Süd ist bekannt als „betriebsratsfreie Zone“, als ein Unternehmen, das mit allen Mitteln versucht, betriebliche Interessenvertretungen der Beschäftigten zu verhindern. Ohne BR kann die Geschäftsleitung Entscheidungen über Arbeitsverdichtung, unbezahlte Überstunden oder das Heuern und Feuern von Personal ungestört umsetzen.
Im März 2018 aber gründete sich auf dem Gebiet der Regionalgesellschaft Langenfeld der erste Betriebsrat (BR) bei Aldi Süd in NRW überhaupt: In der zu Düsseldorf gehörenden Region „Stupplich“ – benannt nach dem zuständigen Regionalverkaufsleiter – hatten Kolleg*innen aus dem Verkauf hierfür die Initiative ergriffen und die Wahl erfolgreich durchgeführt.
Aldi ging damals nicht gegen die BR-Wahl vor. Das Gremium erhielt vielmehr das ihm zustehende Betriebsratsbüro, der Regionalverkaufsleiter nahm mehrfach an den Sitzungen teil. Die Wahl wurde rechtskräftig. Die anschließende Phase der Zusammenarbeit dauerte etwa ein halbes Jahr, in welcher das Unternehmen mit dem BR zusammenarbeitete – mehr schlecht als recht, aber immerhin. Als aber im September 2018 Beschäftigte aus der ebenfalls zu Düsseldorf gehörenden Region „Weiss“ sich anschickten, einen weiteren Betriebsrat zu gründen, sah die Geschäftsführung offenbar Handlungsbedarf.
Angriff erfolgt verzögert
Aufgrund vorgeblich neuer Erkenntnisse bestreitet Aldi jetzt die Rechtmäßigkeit beider Gremien und verweigert ihnen die Mittel, die Betriebsräten nach dem Gesetz zustehen: Sie erhalten keine Betriebsratsbüros. Die Zeit für die anfallende Betriebsratsarbeit wird vom Lohn abgezogen. Der Besuch von Seminaren ist kaum möglich. Die Abwesenheit vom Arbeitsplatz wertet die Geschäftsführung als unentschuldigtes Fernbleiben, was Konsequenzen bis hin zur fristlosen Kündigung haben kann. Dass unter solchen Bedingungen die Betriebsräte erst einmal dafür sorgen müssen, dass sie formal arbeitsfähig werden, hindert sie daran, ihren weiter gehenden Aufgaben nach dem Betriebsverfassungsgesetz nachzukommen.
Die Beschäftigten in den Filialen bekommen durch das Vorgehen der Geschäftsleitung den Eindruck, dass Aldi eine wirkliche Interessenvertretung nicht toleriert. Betroffene BR-Mitglieder sprechen von Einschüchterung und Stimmungsmache. Es herrsche ein Klima der Angst bei Aldi Süd. Beide Regionalverkaufsleiter*innen mussten kurz nach der Bestellung eines Wahlvorstands in ihrem Verantwortungsbereich ihren Hut nehmen.
Das Unternehmen vertritt jetzt die Auffassung, dass die Verkaufsbezirke aufgrund fehlender Kompetenzen der Regionalverkaufsleitungen keine betriebsratsfähigen Betriebe seien und äußert seinen Wunsch nach „rechtmäßigen Mitarbeiterstrukturen“. Ein anderes Motiv für den Sinneswandel erscheint näherliegend: Gibt es in einem Unternehmen mindestens zwei lokale Betriebsräte, so ist die Bildung eines Gesamtbetriebsrats bestehend aus Mitgliedern eben dieser BR gesetzlich vorgeschrieben. Der Gesamtbetriebsrat wäre hier zuständig für die gesamte Regionalgesellschaft Aldi Süd Langenfeld – für den Lebensmittel-Discounter offenbar ein Alptraum.
So forcierte die Geschäftsleitung die Gründung eines Betriebsrats für den gesamten Verkaufsbereich der Regionalgesellschaft Langenfeld mit ihren etwa 1.400 Beschäftigten. Filialleitungen wurden aufgefordert, sich für die Wahl zur Verfügung zu stellen. Die Gewerkschaft dagegen sollte draußen bleiben. Der Vertreterin von ver.di, die echte Interessenvertretungen der Beschäftigten unterstützt, wurde bei der Versammlung zur Wahl des Wahlvorstandes das Wort verweigert und ihr mit Rauswurf gedroht.
Das von Unternehmensseite geförderte Gremium wurde im März 2019 gewählt. Die Person die auf der Betriebsversammlung gegenüber der ver.di-Vertreterin drohend aufgetreten ist, sitzt nunmehr übrigens in diesem „großen“ Gremium. Die Beschäftigten der Verkaufsbereiche „Stupplich“ und „Weiss“ waren an dieser Wahl nicht beteiligt. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte die Durchführung der Wahl im Rahmen eines einstweilige Verfügungsverfahrens in diesen Regionen verboten, da dort bereits wirksame Betriebsratswahlen stattgefunden hätten.
Rechtmäßig?
Was sind nun aber betriebsratsfähige Betriebe bei Aldi Süd – hier konkret: bei der Regionalgesellschaft ALDI GmbH & Co. KG Langenfeld? Dies sollte die 8. Kammer des zuständigen Arbeitsgerichts Düsseldorf am 8. Mai 2019 klären.
Dass die zuvor von Mitgliedern der kleinen BR geäußerte Einschätzung, die Mitglieder des für den gesamten Verkaufsbereich gewählten Gremiums seien überwiegend unternehmensnah, richtig war, zeigte sich bei dieser Verhandlung schon bei der Sitzordnung: Auf der einen Seite saßen als beteiligte Parteien die BR der Regionen „Stupplich“ und „Weiss“, auf der anderen der BR Langenfeld Verkauf und die Unternehmensvertreter. Im Laufe der Verhandlung bestätigte sich der Eindruck, dass für den BR Langenfeld Verkauf die Bezeichnung „Betriebsrat“ in Anführungszeichen gesetzt werden muss. Mit Interessenvertretung der Beschäftigten hatten die Äußerungen dieses „BR“ nichts zu tun. Im Gegenteil unterstützten dessen Mitglieder immer wieder die Positionen des Managements.
Voraussetzung für einen betriebsratsfähigen Betrieb ist, dass für diesen Bereich eine einheitliche Leitung existiert, die die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in sozialen und personellen Angelegenheiten ausübt. Das Gericht prüfte hier, ob dies bei Aldi Süd auf die Filialen, die Verkaufsbereiche (Regionen) oder die Sparte Verkauf der Regionalgesellschaft zutrifft.
Deshalb ging es bei diesem Termin im Wesentlichen um die Frage, welche Entscheidungskompetenz die Regionalverkaufsleiter*innen und die Filialleiter*innen haben bei Einstellungen und Entlassungen, der Personalbedarfsplanung, Lohnfortzahlung, Dienstplangestaltung, Festlegung der Kennzahlen, Urlaubsplanung ... Sind sie im Wesentlichen an Vorgaben und Weisungen der übergeordneten Ebene, der Verkaufsleiter*innen, gebunden, so sind ihre Bereiche nicht betriebsratsfähig.
Ungleiche Möglichkeiten
Auffällig war, dass die Unternehmensseite für jeden Punkt sofort das passende Papier parat hatte, um die eigene Darstellung zu untermauern. Der Gegenseite war die Existenz dieser Rundschreiben und Protokolle anscheinend gar nicht bekannt, die alltägliche Praxis bei Aldi wohl eine andere als die papierene. Doch die kam hier nicht zur Sprache.
Unter den etwa dreißig Besucher*innen waren unüberhörbar auch Unterstützerinnen des unternehmensnahen „BR“, die immer wieder Kommentare in den Saal riefen. Die Richterin rügte sie dafür nicht, sondern widmete im Gegenteil ihre Aufmerksamkeit „des Volkes Stimme“ und fragte im Einzelfall sogar nach.
Da alle Zeug*innen entlassen wurden, ohne vorher gehört worden zu sein, erhielt die Seite der kleinen BR dagegen keine Möglichkeit ihre Sicht zu belegen, dass die Verkaufsbereiche betriebsratsfähig sind. Drei der von ihnen benannten Zeug*innen waren Filialleiter*innen, die Auskunft über die tatsächlichen Kompetenzen der Regionalverkaufsleitung hätten geben können.
Die Richterin hielt am Ende zwei Fragen für relevant. Die eine bezog sich auf Entscheidungsbefugnisse bei der Jahresplanung, die andere darauf, wer über Veränderungen bei der Personalplanung im laufenden Jahr bestimmt.
Nach einer kurzer Beratungspause teilte die Richterin mit, dass das Gericht dazu tendiere, die Sparte Verkauf der Regionalgesellschaft als betriebsratsfähig einzustufen und damit nicht die Filialen und nicht die Verkaufsbereiche. Damit wäre die Wahl des BR in der Region „Weiss“ erfolgreich angefochten. Der bestehende Betriebsrat auf der nach Sicht des Gerichts richtigen Ebene sei jedoch nicht, wie erforderlich, von allen Wahlberechtigten gewählt worden. Die Wahl des BR der Region „Stupplich“ sei dagegen gültig und rechtskräftig. Eine verzwickte Situation. Die Richterin machte den Beteiligten den Vorschlag, dass zur Vereinfachung des Verfahrens alle drei BR zurücktreten und ein BR Langenfeld Verkauf neu gewählt werden sollte.
Der Kampf geht weiter
Während der unternehmensnahe „BR“ sofort einverstanden war, haben die beiden kleinen Gremien den Vorschlag inzwischen abgelehnt. Sie wollen ein Urteil, um damit vor das Landesarbeitsgericht ziehen zu können. Vor der 3. Kammer des Arbeitsgerichts Düsseldorf läuft außerdem parallel zu diesem Verfahren die Anfechtung der Wahl des großen „BR“ durch mehrere Beschäftigte, die offenbar auch Zweifel an der Ehrlichkeit des großen Gremiums haben.
Der Kampf um echte Interessenvertretungen der Kolleg*innen bei Aldi Süd geht also weiter.
Petra Stanius, Helmut Born, 23. Mai 2019
Petra Stanius arbeitet mit beim Aktionskreis gegen Unternehmerwillkür (AKUWILL).